April 2022

Arbeitsrecht

Fristlose Kündigung: Unbefugte Kenntnisnahme und Weitergabe fremder Daten

Liest eine Arbeitnehmerin, die im Rahmen ihrer Buchhaltungsaufgaben Zugriff auf den PC und das E-Mail-Konto ihres Arbeitgebers hat, unbefugt eine an ihren Vorgesetzten gerichtete E-Mail und fertigt von dem Anhang einer offensichtlich privaten E-Mail eine Kopie an, die sie an eine dritte Person weitergibt, rechtfertigt dies eine fristlose Kündigung. Dies hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln entschieden.

Fristlose Kündigung

Die Klägerin ist bei der Arbeitgeberin, einer evangelischen Kirchengemeinde, seit 23 Jahren als Verwaltungsmitarbeiterin beschäftigt. Soweit für ihre Buchhaltungsaufgaben erforderlich, hatte sie Zugriff auf den Dienstcomputer des Pastors. In diesem Dienstcomputer nahm die Klägerin eine E-Mail zur Kenntnis, die den Pastor auf ein gegen ihn gerichtetes Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts sexueller Übergriffe auf eine im Kirchenasyl der Gemeinde lebende Frau hinwies. Im E-Mail-Konto fand sie als Anhang einer privaten E-Mail einen Chatverlauf zwischen dem Pastor und der betroffenen Frau, den sie auf einem USB-Stick speicherte und eine Woche später anonym an eine ehrenamtliche Mitarbeiterin der Gemeinde weiterleitete. Die Klägerin gab an, sie habe die im Kirchenasyl lebende Frau schützen und Beweise sichern wollen. Nach Bekanntwerden der Vorkommnisse kündigte die Kirchengemeinde das Arbeitsverhältnis fristlos.

Erste Instanz gab der Arbeitnehmerin Recht

Erstinstanzlich hatte die Klägerin mit ihrer Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht (ArbG) Aachen Erfolg. Das Gericht erkannte in ihrem Verhalten zwar einen an sich wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung, hielt diese jedoch aufgrund des langen und bisher unbelastet verlaufenen Arbeitsverhältnisses und mangels Wiederholungsgefahr für unverhältnismäßig.

Berufung: Arbeitnehmerin unterliegt

Die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung der Kirchengemeinde hatte Erfolg. Das LAG Köln sah das für die Aufgaben der Klägerin notwendige Vertrauensverhältnis als unwiederbringlich zerstört an. In der unbefugten Kenntnisnahme und Weitergabe fremder Daten lag für das Gericht auch wegen der damit einhergehenden Verletzung von Persönlichkeitsrechten ein schwerwiegender Verstoß gegen die arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht. Dieser sei auch nicht durch die von der Klägerin vorgetragenen Beweggründe, die im Kirchenasyl lebende Frau schützen und Beweise sichern zu wollen, gerechtfertigt gewesen. Denn mit ihrer Vorgehensweise habe die Klägerin keines der angegebenen Ziele erreichen können. Angesichts der Schwere der Pflichtverletzung überwiege das Lösungsinteresse der Gemeinde das Beschäftigungsinteresse der Klägerin deutlich. Selbst die erstmalige Hinnahme dieser Pflichtverletzung sei der Gemeinde nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für die Klägerin erkennbar – ausgeschlossen.

Das LAG hat die Revision nicht zugelassen.

Quelle | LAG Köln, Urteil vom 2.11.2021, 4 Sa 290/21, PM 1/22 vom 3.1.2022

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Vergütungsanspruch: Pflichtpraktikum als Zulassungsvoraussetzung für Studium: kein gesetzlicher Mindestlohn

Praktikanten, die ein Pflichtpraktikum absolvieren, das nach einer hochschulrechtlichen Bestimmung Zulassungsvoraussetzung für die Aufnahme eines Studiums ist, haben keinen Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn. So hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden.

Praktikum ja, Vergütung nein

Die Klägerin beabsichtigte, sich an einer privaten, staatlich anerkannten Universität um einen Studienplatz im Fach Humanmedizin zu bewerben. Nach der Studienordnung ist u. a. ein sechsmonatiger Krankenpflegedienst Zugangsvoraussetzung. Vor diesem Hintergrund absolvierte die Klägerin bei der Beklagten, die ein Krankenhaus betreibt, ein solches Praktikum auf einer Krankenpflegestation. Eine Vergütung wurde nicht vereinbart.

Landesarbeitsgericht und Bundesarbeitsgericht weisen Klage ab

Mit ihrer Klage hat die Klägerin eine Vergütung von rund 10.000 Euro brutto nach dem Mindestlohngesetz (MiLoG) verlangt. Sie hat geltend gemacht, sie habe im Rahmen einer Fünftagewoche täglich 7,45 Stunden Arbeit geleistet. Ein Vorpraktikum vor Aufnahme eines Studiums sei kein Pflichtpraktikum im Sinne des MiLoG, daher greife die gesetzliche Ausnahme von der Vergütungspflicht nicht ein.

Das Landesarbeitsgericht (LAG) hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Revision der Klägerin beim BAG hatte keinen Erfolg. Die Klägerin unterfällt nicht dem persönlichen Anwendungsbereich des o. g. Gesetzes. Der Ausschluss von Ansprüchen auf den gesetzlichen Mindestlohn erfasst nach dem in der Gesetzesbegründung deutlich zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers nicht nur obligatorische Praktika während des Studiums, sondern auch solche, die in Studienordnungen als Voraussetzung zur Aufnahme eines bestimmten Studiums verpflichtend vorgeschrieben sind. Dem steht nicht entgegen, dass die Studienordnung von einer privaten Universität erlassen wurde, denn diese Universität ist staatlich anerkannt. Hierdurch ist die von der Hochschule erlassene Zugangsvoraussetzung im Ergebnis einer öffentlich-rechtlichen Regelung gleichgestellt und damit gewährleistet, dass durch das Praktikumserfordernis in der Studienordnung nicht der grundsätzlich bestehende Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn für Praktikanten sachwidrig umgangen wird.

Quelle | BAG, Urteil vom 19.1.2022, 5 AZR 217/21, PM 1/22 vom 19.1.2022

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Kündigungsschutzklage: Angekündigter Amoklauf: fristlose Kündigung möglich

Kündigt ein Arbeitnehmer einer Kollegin gegenüber glaubhaft an, er beabsichtige, seinen Vorgesetzten aus dem Fenster zu schmeißen und er sei kurz vor einem Amoklauf, kann dies eine fristlose Kündigung rechtfertigen. So entschied es das Arbeitsgericht (ArbG) Siegburg.

Der Arbeitnehmer war bei der beklagten Stadt seit über 13 Jahren in der Buchhaltung beschäftigt. Er äußerte gegenüber seiner Kollegin nach einer Auseinandersetzung mit seinem Vorgesetzten: „Diesen kleinen Wicht schmeiße ich aus dem Fenster. Ich lasse mir das nicht länger gefallen. Ich bin kurz vor’m Amoklauf. Ich sage dir, bald passiert was. Der lebt gefährlich, sehr gefährlich.“

Der Arbeitnehmer erhielt daher eine fristlose und hilfsweise eine fristgerechte Kündigung. Hiergegen erhob er Kündigungsschutzklage.

Das ArbG wies die Klage ab. Es hielt die fristlose Kündigung für gerechtfertigt, nachdem es die Kollegin als Zeugin vernommen hatte. Der Kündigungsgrund lag nach Auffassung des ArbG darin, dass der Arbeitnehmer in ernst zu nehmender Art und Weise gegenüber seiner Kollegin Äußerungen getätigt habe, die sowohl die Ankündigung für eine Gefahr von Leib und Leben des Vorgesetzten als auch die Ankündigung eines Amoklaufs beinhaltet hätten. Er habe die Drohung nach Überzeugung des Gerichts absolut ernst gemeint. Eine vorherige Abmahnung sei in diesem Fall entbehrlich. Eine Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist sei dem Arbeitgeber nicht zuzumuten.

Quelle | ArbG Siegburg, Urteil vom 4.11.2021, 5 Ca 254/21,

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Betriebliches Eingliederungsmanagement: Datenschutz beachten

Arbeitnehmer sind auf die Art und den Umfang der im betrieblichen Eingliederungsmanagement erhobenen und verwendeten Daten hinzuweisen. Die entsprechende Datenverarbeitung muss zudem datenschutzkonform geschehen. Dies hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg klargestellt.

Um die Ziele des betrieblichen Eingliederungsmanagements zu erreichen, sei es nicht erforderlich, dass der Arbeitnehmer Vertretern, die nicht im betrieblichen Eingliederungsmanagement-Verfahren beteiligt des Arbeitgebers sind, mitgeteilte Diagnosedaten bekannt macht. Wenn dem Arbeitnehmer dennoch eine Einwilligung in eine solche Datenoffenlegung abverlangt wird, ist im besonderen Maße auf die Freiwilligkeit hinzuweisen.

Quelle | LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 20.10.2021, 4 Sa 70/20

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Arbeitnehmer: Selbstbeurlaubung: ein großer Fehler!

Ein unentschuldigtes Fehlen eines Arbeitnehmers und eine eigenmächtige Urlaubnahme sind geeignet, eine außerordentliche Kündigung auszusprechen. Dies hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Mecklenburg-Vorpommern klargestellt.

Das LAG machte dabei deutlich, dass der Arbeitnehmer sich auch nicht selbst beurlauben oder freistellen darf, wenn er möglicherweise einen Anspruch auf Erteilung von Urlaub oder eine Freistellung gehabt hätte. Denn einen solchen Anspruch hätte er im Wege des gerichtlichen Rechtsschutzes, ggf. im Wege einer einstweiligen Verfügung, durchsetzen müssen, nicht aber durch eigenmächtiges Handeln.

Quelle | LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 23.11.2021, 5 Sa 88/21

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Baurecht

Schadenersatz: Bauunternehmer und Planer können auch gemeinsam haften

Wird ein Mangel an einem Werk durch einen Planungsfehler des vom Auftraggeber beauftragten Planers (hier: Statiker) und unabhängig davon durch einen Ausführungsfehler des Bauunternehmers verursacht, wobei beide Fehler für sich allein jeweils den ganzen Schaden verursacht hätten, liegt ein Fall der sog. Doppelkausalität vor. Planer und Bauunternehmer haften dann dem Auftraggeber gesamtschuldnerisch auf den gesamten Schaden. So hat es das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart entschieden.

Das bedeutet: Der Auftraggeber kann sich aussuchen, von wem er den Schaden ersetzt verlangt. Im Zweifel wird er sich daher für den zahlungskräftigeren Beteiligten entscheiden.

Außerdem hat das OLG klargestellt: In einem solchen Fall der Doppelkausalität kann der Bauunternehmer dem Auftraggeber das planerische Verschulden nicht anspruchsmindernd entgegenhalten, weil das Planungsverschulden für das Ausführungsverschulden nicht (mit-)ursächlich geworden ist.

Quelle | OLG Stuttgart, Urteil vom 26.10.2021, 10 U 336/20

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Honorarverluste: Haftung für vom Bauherrn verschuldete Verzögerungen

Zu Terminverzögerungen kommt es beim Bauen immer wieder. Ob dem Planer daraus Honorarverluste entstehen, ist u. a. davon abhängig, wer die Ursache für die Verzögerung gesetzt hat. Darauf hat das Oberlandesgericht (OLG) Brandenburg hingewiesen.

Im Fall des OLG war ein Unternehmer damit beauftragt, eine Trafostation auf dem Grundstück des Auftraggebers zu errichten und in betriebsbereitem Zustand zu übergeben. Für die Fertigstellung der Trafostation war eine Frist von 18 Wochen vereinbart. Da die erforderliche Baugenehmigung erst 14 Monate nach Vertragsschluss vorlag, konnte die Trafostation letztlich erst nach ca. 16 Monaten fertiggestellt werden. Der Auftraggeber verlangte Schadenersatz wegen elfmonatigen Terminverzugs.

Das OLG Brandenburg hat den Schadenersatzanspruch verneint, weil der Auftraggeber die ihm obliegende Aufgabe, die Baugenehmigung rechtzeitig zu erwirken, nicht termingerecht erfüllt hatte. Im vorliegenden Fall war in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) des Auftragnehmers geregelt, dass der Auftraggeber für die Beibringung der Baugenehmigung verantwortlich war. Die gesetzliche Grundlage für die Mitwirkungspflicht des Auftraggebers ist im Bürgerlichen Gesetzbuch (§ 642 BGB) geregelt.

Quelle | OLG Brandenburg, Urteil vom 11.11.2021, 12 U 79/21

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Bauvertragsrecht: Was beinhaltet die Pauschale?

Hausanschlusskosten, die dem Bauunternehmer/Verkäufer eines zu errichtenden Hauses während der Bauphase dafür entstanden sind, dass er gegenüber dem Versorgungsträger seinerseits die Errichtung der Hausanschlüsse veranlasst hat, kann er im Rahmen eines Pauschalpreisvertrags nicht nachträglich auf den Erwerber/Käufer abwälzen, wenn dem zugrunde liegenden Vertrag eine solche nachträgliche Übernahmeverpflichtung nicht zu entnehmen ist. Das hat nun das Oberlandesgericht Celle klargestellt.

Nach Ansicht des OLG darf der Erwerber nach dem allgemeinen Verständnis davon ausgehen, dass der Verkäufer derartige Kosten im Vorfeld kalkuliert und beim Bilden des Pauschalpreises berücksichtigt hat, sodass etwaige Hausanschlusskosten mit der Zahlung des Pauschalpreises mit abgegolten sind. Grundlage dieser Auffassung war die Annahme, dass erstmals anfallende Hausanschlusskosten im Gegensatz zu Erschließungskosten i. d. R. den Herstellungskosten des Gebäudes zuzurechnen sind.

Quelle | OLG Celle, Urteil vom 19.10.2021, 14 U 100/21, bestätigt durch Zurückweisungsbeschluss vom 26.11.2021

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Fertiges Bauwerk: Übergabe oder Inbetriebnahme ist keine Abnahme

Die Übergabe des fertiggestellten Bauwerks ist ein rein organisatorischer Vorgang und für die Frage der Abnahme von Ingenieur- oder Architektenleistungen nicht von Bedeutung. So entschied es das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe.

Das OLG: Es kommt nicht darauf an, ob das Bauwerk an den Bauherrn in einem formalen Akt (Stichwort: „Schlüsselfertige Übergabe“) übergeben wird, um die Abnahme der Ingenieurleistungen zu erwirken. Deren Abnahme setzt voraus, dass die Leistungen (insbesondere, wenn die Leistungsphase 8 nach der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure [HOAI] beauftragt ist) fertiggestellt sind.

Die Entscheidung ist rechtskräftig. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat die Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen (15.9.2021, VII ZR 107/21).

Quelle | OLG Karlsruhe, Urteil vom 22.12.2020, 8 U 5/19

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Vertragsrecht: Verjährt beim „echten“ Stufenvertrag jede Stufe eigenständig?

Beim „echten“ Stufenvertrag werden nur die Leistungen der zunächst beauftragten Stufe(n) Vertragsbestandteil. Später beauftragte Stufen stellen einen eigenständigen Vertrag dar. Die Verjährungsfrist für Mängelansprüche läuft deshalb für jede Vertragsstufe separat. So hat es das Oberlandesgericht (OLG) Naumburg entschieden.

Laut OLG ist beim „echten“ Stufen- oder Optionsvertrag der spätere Auftrag als rechtlich eigenständiger Vertrag zu sehen. Wird der Architekt zunächst nur mit einer Leistungsphase beauftragt und werden ihm später weitere Leistungen übertragen, muss die Mangelfreiheit der zuerst beauftragten Leistung getrennt von der zuletzt beauftragten Leistung bewertet werden. Diese Rechtsauffassung vertreten auch die OLG Brandenburg und Dresden.

Quelle | OLG Naumburg, Urteil vom 18.11.2021, 2 U 155/20; OLG Brandenburg, Urteil vom 16.3.2016, 4 U 19/15, Abruf-Nr. 190137; OLG Dresden, Urteil vom 17.6.2010, 10 U 1648/08

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Familien- und Erbrecht

Adoptivkind: Auskunftsanspruch gegenüber leiblicher Mutter

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden, dass eine leibliche Mutter auch nach einer Adoption ihrem Kind Auskunft über die Identität des leiblichen Vaters geben muss.

Eine im Jahr 1984 geborene Antragstellerin verlangte von ihrer leiblichen Mutter, der Antragsgegnerin, Auskunft über die Person des leiblichen Vaters. Bei der Geburt war die in problematischen Familienverhältnissen aufgewachsene Antragsgegnerin gerade 16 Jahre alt geworden. Sie hatte die Schwangerschaft erst im siebten Monat bemerkt und die Hauptschule, deren siebte Klasse sie damals besuchte, ohne Schulabschluss verlassen. Nach der Geburt lebte sie mit der Antragstellerin zunächst in einem Mutter-Kind-Heim und später in einer Mädchen-Wohngemeinschaft, ehe die Antragstellerin von einem Ehepaar adoptiert wurde.

Ein 1985 durchgeführtes Vaterschaftsfeststellungsverfahren blieb ebenso erfolglos wie ein außergerichtlicher Vaterschaftstest mit einem weiteren Mann. Ende 2003 kam es auf Vermittlung des Jugendamts zu einem Treffen zwischen Antragstellerin und Antragsgegnerin. Nachdem die Antragstellerin die Antragsgegnerin im März 2018 erfolglos aufgefordert hatte, Namen und Anschrift des leiblichen Vaters zu benennen, hat sie diese Auskunft nun im gerichtlichen Verfahren verlangt.

Das Amtsgericht (AG) hat den Antrag zurückgewiesen, weil der Antragsgegnerin die Auskunftserteilung unmöglich sei. Auf die Beschwerde der Antragstellerin hat das Oberlandesgericht (OLG) diese Entscheidung geändert und die Antragsgegnerin antragsgemäß verpflichtet, der Antragstellerin alle Männer mit vollständigem Namen und Adresse zu nennen, die der Antragsgegnerin in der gesetzlichen Empfängniszeit beigewohnt haben.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat die dagegen von der Antragsgegnerin eingelegte Rechtsbeschwerde zurückgewiesen.

Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (§ 1618a BGB) müssen Eltern und Kinder einander Beistand leisten. Auch wenn die Vorschrift keine konkreten Sanktionen bei einem Verstoß vorsieht, können Eltern und Kindern aus der Vorschrift wechselseitig Rechtsansprüche erwachsen. Aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht folgt die verfassungsrechtliche Verpflichtung des Staates, der Schutzbedürftigkeit des Einzelnen vor der Vorenthaltung verfügbarer Informationen über die eigene Abstammung bei der Ausgestaltung der Rechtsbeziehungen zwischen den Betroffenen angemessen Rechnung zu tragen.

Zudem geht es nicht allein um die Durchsetzung finanzieller Interessen. Vielmehr wird mit dem Auskunftsanspruch eine Rechtsposition von ganz erheblicher verfassungsrechtlicher Bedeutung gestärkt, nämlich das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung.

Dass die Antragsgegnerin wegen der Adoption der Antragstellerin und dem daraus folgenden Erlöschen des rechtlichen Eltern-Kind-Verhältnisses nicht mehr die rechtliche Mutter der Antragstellerin ist, steht dem Anspruch nicht entgegen. Denn das Auskunftsschuldverhältnis zwischen Kind und Mutter ist vor der Adoption entstanden. Würde man dies anders sehen, würde die Adoption hinsichtlich des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung zu einer nicht gerechtfertigten Schlechterstellung gegenüber Kindern führen, deren rechtliche Eltern-Kind-Beziehung zu ihrer leiblichen Mutter fortbesteht. Im vorliegenden Fall hat die Antragsgegnerin auch keine erheblichen, gegen ihre Auskunftsverpflichtung sprechenden Abwägungsgesichtspunkte vorgetragen, sondern im Gegenteil zu keinem Zeitpunkt bestritten, dass der Auskunftsanspruch der Antragstellerin grundsätzlich besteht. Somit hat sie sich nicht auf konkrete Belange berufen, die mit Blick auf ihr ebenfalls verfassungsrechtlich geschütztes Recht auf Achtung ihrer Privat- und Intimsphäre dazu führen könnten, das Bestehen des Auskunftsanspruchs zu verneinen.

Mit der bloßen Mitteilung, sie könne sich an keinen möglichen Erzeuger erinnern, hat die Antragsgegnerin den Auskunftsanspruch nicht erfüllt. Sie hat auch nicht dargelegt, dass ihr eine Erfüllung auch nach Einholen der ihr zumutbaren Erkundigungen unmöglich ist. Sie könnte sich an eine Reihe von möglichen Kontaktpersonen wenden, um Hinweise zu potenziellen leiblichen Vätern der Antragstellerin zu erhalten. Diesen Nachfragemöglichkeiten fehlt es weder an der Erfolgsaussicht noch sind sie der Antragsgegnerin unzumutbar.

Quelle | BGH, Beschluss vom 19.1.2022, XII ZB 183/21, PM 7/22 vom 19.1.2022

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Enkelunterhalt: Unterhaltspflicht von Großeltern

Nicht nur Eltern müssen ihren Kindern Unterhalt zahlen, solange diese zur Schule gehen oder sich noch in einer Ausbildung befinden. Dieselbe Pflicht kann nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (§ 1607 BGB) auch die Großeltern eines Kindes treffen, wenn die Eltern wegen mangelnder Leistungsfähigkeit keinen Unterhalt zahlen können oder sich der Unterhaltsanspruch rechtlich nur schwer durchsetzen lässt. Das hat jetzt das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg klargestellt.

Das Amtsgericht (AG) hatte den Antrag zurückgewiesen: Es sei nicht ersichtlich, warum die Kindesmutter nicht vollschichtig arbeiten und dadurch den Barunterhalt für das Kind aufbringen könne.

Das OLG hat diese Frage anders entschieden. Es könne offengelassen werden, ob die Mutter vollschichtig arbeiten müsse. Selbst bei einer Vollzeittätigkeit reiche ihr Einkommen nicht aus, um den Unterhalt des Kindes ganz oder teilweise zu erbringen. Um den eigenen Unterhalt sicherzustellen, müsse ihr der angemessene Selbstbehalt – von zurzeit 1.400 Euro – belassen werden. Da die Mutter auch bei einer Vollzeittätigkeit nicht so viel verdienen könne, dass sie den Unterhalt für das Kind zahlt und 1.400 Euro für ihren Lebensunterhalt behalten könne, komme eine Haftung der Großeltern für den Unterhalt des Enkels in Betracht. Das OLG hob hervor: Daran ändere sich auch nichts dadurch, dass der Kindesvater im Laufe des Verfahrens eine Arbeitsstelle angetreten habe und seitdem Unterhalt zahle. Denn es seien noch Rückstände für die Vergangenheit offen. Im Ergebnis könne daher Auskunft von den Großeltern über deren Einkommen und Vermögen verlangt werden. Im Anschluss an diese Auskunft ist zu entscheiden, ob die Großeltern tatsächlich Unterhalt schulden.

Quelle | OLG Oldenburg, Beschluss vom 16.12.2021, 13 UF 85/21, PM 3/22 vom 14.1.2022

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Mietrecht und WEG

Mietverhältnis: Hohes Alter kann genügen, um wegen Eigenbedarf zu kündigen

Die Kündigung einer Wohnung wegen Eigenbedarf ist rechtens, wenn ein über 80-jähriges Ehepaar bei Besorgungen unterstützt werden soll. Selbst, wenn es ihm gesundheitlich sehr gut geht und die unterstützende Person bisher nur etwa 2,7 km entfernt lebte, kann Eigenbedarf geltend gemacht werden. Das hat das Amtsgericht (AG) München entschieden.

Was war geschehen?

Ein 80-jähriges Ehepaar bewohnte eine Wohnung in einem Haus in München. Es besaß im selben Haus eine weitere 77 qm große Wohnung. Diese hatte es an ein ebenfalls älteres Ehepaar vermietet. Das Vermieter-Ehepaar übertrug das Eigentum an der vermieteten Wohnung gegen eine monatliche Leibrente von 800 Euro an die Großnichte, die in der Nähe wohnte. Diese unterstützte ihre Verwandten bei Besorgungen, Einkäufen und Arztbesuchen. Die Großnichte kündigte den o. g. Mietern wegen Eigenbedarf und hatte damit Erfolg.

So argumentieren die Mieter

Die gekündigten Mieter argumentierten, dass eine Hilfeleistung auch aus einer Distanz von 2,7 km entfernt möglich sei. Die Großnichte müsse nicht im gleichen Haus wohnen, zumal es dem Vermieter-Ehepaar gesundheitlich gut ginge. Den Mietern hingegen sei eine Wohnungssuche und ein Umzug angesichts des Münchener Wohnungsmarkts nicht zumutbar. Zudem litt die Mieterin laut eines vorgelegten Attests an Bluthochdruck mit Gefahr von Herzinfarkt und Schlaganfall.

Amtsgericht: Wunsch nach Eigennutzung hinreichend bestimmt und konkret

Das AG sah dies anders: Der Wunsch, seine Wohnung selbst zu nutzen, sei grundsätzlich zu achten, wenn er hinreichend bestimmt und konkret ist. Bereits aufgrund des Alters des Vermieter-Ehepaars sei eine zeitnahe Hilfsbedürftigkeit derart naheliegend, dass selbst ein aktuell blendender Gesundheitszustand nicht ins Gewicht falle. Der attestierte Bluthochdruck der Mieterin hingegen begründe keine besondere Härte im Sinne des Gesetzes.

Das Urteil ist rechtskräftig.

Quelle | AG München, Urteil vom 9.6.2021, 453 C 3432/21

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Mietvertrag: Trotz Dauerbaustelle keine Mietminderung

Nach Abschluss des Mietvertrags eintretende erhöhte Lärm- und Schmutzimmissionen begründen, wenn anderslautende Beschaffenheitsvereinbarungen fehlen, grundsätzlich keinen zur Mietminderung berechtigenden Mangel der Mietwohnung. Dies gilt auch, wenn sie von einer auf einem Nachbargrundstück eines Dritten betriebenen Baustelle herrühren. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden.

Anders kann dies jedoch sein, wenn der Vermieter die Immissionen abwehren könnte oder sogar Entschädigungsmöglichkeiten hätte.

Ebenfalls anders kann dies zu bewerten sein, wenn eine abweichende Beschaffenheitsvereinbarung der Mietvertragsparteien existiert. Eine solche kann aber nicht mit der Begründung bejaht werden, die Freiheit der Wohnung von Baulärm werde regelmäßig stillschweigend zum Gegenstand einer entsprechenden Abrede der Mietvertragsparteien.

Quelle | BGH, Urteil vom 24.11.2021, VIII ZR 258/19

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Wohnungseigentum: Anbringen eines Klimageräts ist bauliche Veränderung

Jede bauliche Veränderung von Wohnungseigentum bedarf eines wirksamen Beschlusses durch die Eigentümerversammlung. Selbst, wenn eine sog. Ermessensreduzierung auf Null vorläge, die Eigentümer also auf jeden Fall der Maßnahme zustimmen müssten, müsste ein entsprechender formeller Antrag an die Eigentümergemeinschaft herangetragen und von dieser beschieden werden. Das gilt auch für das Anbringen eines Klimageräts. So hat es das Amtsgericht (AG) Biedenkopf entschieden.

Das war geschehen

Der Eigentümer einer Einheit im Erdgeschoss einer Wohnungseigentumsanlage hatte diese als Spielothek vermietet und ein Klimagerät montiert. In einer Eigentümerversammlung wurde beschlossen, ihn aufzufordern, das Gerät fachmännisch beseitigen zu lassen.

Der Eigentümer erhob dagegen Klage. Er ist der Ansicht, das Gerät sei unabdingbar und notwendig, um eine – gerade auch aufgrund der Pandemie-Lage erforderliche – ausreichende Lüftung der Räumlichkeiten zu gewährleisten. Eine andere Art der Lüftung, etwa durch Fenster, sei aufgrund eines früheren Einbruchs nicht möglich, da man einen erneuten Einbruch fürchtete und die Fenster deshalb zumauerte. Die beklagten Eigentümer argumentierten, das Klimagerät sei eine störende bauliche Veränderung am Gemeinschaftseigentum, die ohne Genehmigungsbeschluss nicht hätte angebracht werden dürfen.

Bauliche Veränderung: Beschluss erforderlich

Das AG entschied: Ein Anspruch auf Duldung des angebrachten Klimageräts besteht nicht. Es handelte sich vorliegend um eine solche bauliche Veränderung, für die nach neuem Recht in jedem Fall ein Beschluss nötig ist.

Hätte der Kläger hier einen formellen Antrag an die Eigentümergemeinschaft herangetragen und wäre dieser von der Gemeinschaft abgelehnt worden, wäre eine Zustimmungsklage zu erheben gewesen. Zudem bestand hier auch keine übergeordnete sachliche Notwendigkeit für das Anbringen des Geräts. Der Eigentümer hat sich die von ihm für erforderlich gehaltene Lüftungsmöglichkeit selbst verbaut, indem er zuvor die Fensteröffnungen zugemauert hatte.

Quelle | AG Biedenkopf, Urteil vom 8.4.2021, 50 C 220/20

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Verbraucherrecht

Corona-Pandemie: Mietzahlungspflicht bei Absage einer Hochzeitsfeier

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden, dass die Mieter der für eine Hochzeitsfeier gemieteten Räume die Miete vollständig zahlen mussten, die aufgrund der COVID-19-Pandemie nicht stattfinden konnte.

Die Kläger, die am 11.12.2018 standesamtlich geheiratet hatten, mieteten bei der Beklagten Räume für eine am 1.5.2020 geplante Hochzeitsfeier mit ca. 70 Personen. Nach mündlichen Vertragsverhandlungen übersandte die Beklagte den Klägern eine auf den 5.4.2019 datierte Rechnung über die vereinbarte Miete von 2.600 Euro, die die Kläger beglichen. Die geplante Hochzeitsfeier „platzte“, weil aufgrund der damals gültigen nordrhein-westfälischen Coronaschutzverordnung Veranstaltungen sowie Zusammenkünfte und Ansammlungen im öffentlichen Raum von mehr als zwei Personen untersagt worden waren. Am 23.3.2020 bot die Beklagte den Klägern unter Angabe von Alternativterminen an, die Hochzeitsfeier zu verschieben. Doch die Kläger baten rund einen Monat später, die geleistete Miete zurückzuzahlen. Sie erklärten gleichzeitig den Rücktritt vom Vertrag.

Das war der Verfahrensgang

Das Amtsgericht (AG) hat die auf Rückzahlung der vollen Miete gerichtete Klage abgewiesen. Die Kläger gingen in Berufung. Dort änderte das Landgericht (LG) das Urteil und verurteilte die Beklagte, an die Kläger (lediglich) 1.300 Euro nebst Zinsen zu zahlen. Auf die Revision der Beklagten hat der BGH das Berufungsurteil aufgehoben und die erstinstanzliche Entscheidung wieder hergestellt. Die Anschlussrevision der Kläger hat er zurückgewiesen.

Die Argumente des BGH

Der BGH hat entschieden, dass die Einschränkungen durch die COVID-19-Pandemie nicht zu einer sog. Unmöglichkeit im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuchs (§ 326 Abs. 1, § 275 Abs. 1 BGB) geführt haben. Denn der Beklagten war es trotz des zum Zeitpunkt der geplanten Hochzeitsfeier in NRW geltenden Veranstaltungsverbots und der angeordneten Kontaktbeschränkungen nicht unmöglich, den Klägern den Gebrauch der Mietsache entsprechend dem vereinbarten Mietzweck zu gewähren. Ebenso zutreffend hat das LG eine Minderung der Miete abgelehnt. Durch die Coronaschutzverordnung wurde weder den Klägern die Nutzung der angemieteten Räume noch der Beklagten tatsächlich oder rechtlich die Überlassung der Mieträumlichkeiten verboten. Das Mietobjekt stand daher trotz der Coronaschutzverordnung, die die geplante Hochzeitsfeier untersagte, weiter für den vereinbarten Mietzweck zur Verfügung. Eine Geschäftsschließung, die auf einer hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie erfolgt, stellt somit keinen Mangel der Mietsache dar, so der BGH.

Den Klägern steht im vorliegenden Einzelfall auch kein Anspruch wegen sog. Störung der Geschäftsgrundlage auf Anpassung des Mietvertrags dahingehend zu, dass sie von ihrer Pflicht, die vereinbarte Miete zu zahlen, vollständig oder teilweise befreit wären. Zwar kommt für den Fall einer Geschäftsschließung, die auf einer hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie erfolgt, ein solcher Anpassungsanspruch grundsätzlich in Betracht. Dies bedeutet aber nicht, dass der Mieter in diesen Fällen stets eine Anpassung der Miete verlangen kann. Ob ihm ein Festhalten an dem unveränderten Vertrag unzumutbar ist, bedarf einer umfassenden Abwägung, bei der sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind. Die Anwendung der Grundsätze über die Störung der Geschäftsgrundlage führt nur ausnahmsweise zur völligen Beseitigung des Vertragsverhältnisses; in aller Regel ist der Vertrag nach Möglichkeit aufrechtzuerhalten und lediglich in einer den berechtigten Interessen beider Parteien Rechnung tragenden Form der veränderten Sachlage anzupassen. Nur, wenn dies nicht möglich oder einem Teil nicht zumutbar ist, kann der benachteiligte Teil vom Vertrag zurücktreten oder bei Dauerschuldverhältnissen den Vertrag kündigen.

Ausweichtermine nicht akzeptiert

Im vorliegenden Fall beschränkt sich der Anpassungsanspruch der Kläger auf die von der Beklagten angebotene Verlegung der Hochzeitsfeier, weil bereits dadurch eine interessengerechte Verteilung des Pandemie-Risikos bei einem möglichst geringen Eingriff in die ursprüngliche Regelung hergestellt werden kann. Die Beklagte hat den Klägern bereits im März 2020 viele Ausweichtermine angeboten, auch für das Jahr 2021. Den Klägern wäre zum Zeitpunkt der Berufungsentscheidung eine Verlegung der Hochzeitsfeier auch zumutbar gewesen. Sie hatten bereits im Dezember 2018 standesamtlich geheiratet und die Hochzeitsfeier stand daher nicht, wie regelmäßig, in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit einer standesamtlichen oder kirchlichen Trauung. Die Kläger haben auch keine anderen Gründe dafür vorgetragen, dass die Feier ausschließlich am 1.5.2020 und nicht auch zu einem späteren Termin hätte stattfinden können. Sollten sie inzwischen endgültig auf eine Hochzeitsfeier verzichten wollen, fiele diese Entscheidung allein in ihren Risikobereich und hätte daher auf die vorzunehmende Vertragsanpassung keine Auswirkung. Denn sie beträfe das allgemeine Verwendungsrisiko eines Mieters und stünde nicht mehr in unmittelbarem Zusammenhang mit der pandemiebedingten Störung der Geschäftsgrundlage.

Quelle | BGH, Urteil vom 2.3.2022, XII ZR 36/21, PM 29/2022 vom 2.3.2022

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Vertragsrecht: Rückforderung von Seminargebühren

Bucht ein im Erwerbsleben Stehender ein berufsbezogenes und -begleitendes Seminar, für das bereits im Vorfeld bestimmte Termine angegeben worden sind, muss der Seminaranbieter auch ohne ausdrücklichen Hinweis allein nach Maßgabe dieser Umstände davon ausgehen, dass die Einhaltung der angegebenen Termine für die Teilnehmer wesentlich ist. Er muss auch davon ausgehen, dass der Teilnehmer weder in der Lage noch auch nur bereit sein wird, an dem Seminar an beliebigen anderen Terminen teilzunehmen. So sieht es das Oberlandesgericht (OLG) Celle.

Der Veranstalter hatte Termine eines Fortbildungskurses mit fünf zwei- bis dreitägigen Präsenzveranstaltungen über sechs Monate verlegt. Die neuen Termine wurden einseitig vom Veranstalter festgesetzt und nicht mit den Teilnehmern abgesprochen. Den darauf von der Teilnehmerin erklärten Rücktritt wies er zurück. Zu Unrecht, wie das OLG – anders als noch das Landgericht (LG) – meinte.

Folge: Der Teilnehmer hat einen Anspruch auf Rückzahlung der Seminarvergütung, weil er vom Ausbildungsvertrag wirksam zurückgetreten ist. Es handelte sich um ein sog. „relatives Fixgeschäft“.

Quelle | OLG Celle, Urteil vom 18.11.2021, 11 U 66/21

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Verkehrsrecht

Verkehrsunfall: Mietwagen nicht verkehrssicher: 90.000 Euro Schmerzensgeld

Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main verurteilte ein Mietwagenunternehmen u.a. dazu, ein Schmerzensgeld von 90.000 Euro zu zahlen. Denn der Mietwagen war nicht verkehrssicher und die klagende Mieterin hatte schwerste Verletzungen bei einem Verkehrsunfall mit diesem Fahrzeug erlitten.

Die verschuldensunabhängige Garantiehaftung des Vermieters für anfängliche Mängel der Mietsache kann für die Verletzung von Kardinalspflichten nicht durch Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) ausgeschlossen werden. Zu diesen Kardinalpflichten gehört beim Mietwagenvertrag, ein Fahrzeug zu überlassen, dessen technischer Zustand das sichere Fahren insbesondere durch funktionsfähige Lenkung und Bremsen gewährleistet.

Das war geschehen

Die Beklagte betrieb eine gewerbliche Autovermietung. Als gewerbliche Stammkundin mietete die Klägerin bei der Beklagten für eine Woche ein Fahrzeug. Nach den Mietvertragsbedingungen haftete die Beklagte für Schäden aus der Verletzung des Lebens, des Körpers und der Gesundheit der Mieter nur bei grobem Verschulden oder fahrlässigen Pflichtverletzungen.

Auf dem Hinweg informierte die Klägerin die Beklagte, dass sie Probleme habe, in den zweiten Gang zu schalten. Auf der Rückfahrt geriet das Fahrzeug – während die Klägerin versuchte, die geöffnete Seitenscheibe hochzukurbeln und hierzu ihre linke Hand vom Steuer nahm – plötzlich ins Schleudern. Gegenlenken war nicht möglich. Das Fahrzeug schleuderte weiter, schaukelte sich auf, kippte nach links und rutschte über die linke Seite über den Fahrbahnrand hinaus in eine Grünfläche. Beim Umkippen des Mietfahrzeugs geriet der linke Arm der Klägerin durch das Fenster und wurde abgetrennt. Die Klägerin erlitt durch den Unfall schwerste Verletzungen. Eine Replantation des Armes war nicht möglich.

Hohe Schmerzensgeldforderung

Die Klägerin begehrt Schmerzensgeld in Höhe von 120.000 Euro, eine Schmerzensgeldrente und die Feststellung der Einstandspflicht für zukünftige Schäden wegen des Verkehrsunfalls. Das Landgericht (LG) hatte die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hatte beim OLG überwiegend Erfolg. Die Klägerin könne Schadenersatz verlangen, da das gemietete Fahrzeug mangelhaft gewesen sei, so das OLG. Im Kardangelenk der unteren Lenksäule sei ein Lager bereits bei Fertigung nicht richtig verbaut worden. Gemäß den Ausführungen des Sachverständigen sei damit das Fahrzeug von Anfang an „prinzipiell nicht verkehrssicher“ gewesen. Das Kreuzgelenk habe sich während der gesamten Laufleistung aus der Lageraufnahme herausgearbeitet und sei dann plötzlich während der Fahrt der Klägerin herausgesprungen. Für diesen von der Beklagten nicht verschuldeten Mangel des Fahrzeugs hafte sie dennoch. Der Unfall sei durch den Mangel verursacht worden.

Kardinalsplicht: Fahrzeug muss verkehrssicher sein!

Die Beklagte könne sich nicht auf den vereinbarten Haftungsausschluss für unverschuldete Schäden berufen. Kraft Gesetzes hafte der Vermieter auch für unverschuldete Mängel der Mietsache, soweit sie bereits bei Vertragsschluss bestanden. Diese verschuldensunabhängige gesetzliche Haftung könne zwar grundsätzlich durch AGB ausgeschlossen werden. Dies gelte aber nicht, wenn sich der Haftungsausschluss auf Schäden im Zusammenhang mit der Verletzung einer sog. Kardinalspflicht, also einer wesentlichen Pflicht, des Vermieters beziehe. Zu diesen Kardinalspflichten gehöre es, ein verkehrssicheres Fahrzeug zu vermieten, bei dem insbesondere Lenkung und Bremsen funktionsfähig seien. Der Mieter würde unangemessen entgegen Treu und Glauben benachteiligt, wenn die Klausel auch Schäden aus der Verletzung derartiger im Gegenseitigkeitsverhältnis stehenden Hauptleistungspflichten des Vermieters umfassen würde. Den typischen Vertragszweck prägende Pflichten dürften nicht durch einen Haftungsausschluss ausgehöhlt werden. Das Fahren im Straßenverkehr mit hoher Geschwindigkeit begründe stets eine latente erhebliche Gefahr für Leib und Leben der Insassen. Ein Mieter müsse sich darauf verlassen können, dass das ihm anvertraute Fahrzeug verkehrstüchtig und frei von solchen Mängeln ist, die eine erhebliche Gefahr für ihn begründen könnten.

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Mit der Nichtzulassungsbeschwerde kann die Beklagte die Zulassung der Revision beim Bundesgerichtshof (BGH) beantragen.

Quelle | OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 30.12.2021, 2 U 28/21, PM vom 24.1.2022

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Autokauf: Sind zwölf Monate Standzeit tagesgenau zu betrachten?

Der vom Bundesgerichtshof (BGH) vorgegebene Zwölf-Monats-Zeitraum zwischen Produktion und Verkauf eines Fahrzeugs, nach dessen Verstreichen das Fahrzeug die Eigenschaft „fabrikneu“ verliert, ist nicht tagesgenau zu verstehen. Ist er zum Verkaufszeitpunkt um zwei Tage überschritten, schadet das nicht. So entschied jetzt das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt a. M. – anders als noch das Landgericht (LG) Gießen als Vorinstanz.

Das sehen die OLG aber durchaus unterschiedlich. Während das OLG Düsseldorf ebenso flexibel ist (Urteil vom 24.10.05, I-1 U 84/05), wie das OLG Frankfurt a. M., befürwortet das OLG Hamm die tagesgenaue Anwendung (Urteil vom 16.8.16, 1-28 U 140/15). Hier sei die Rechtssicherheit entscheidend.

Der Fall des OLG Hamm lag jedoch genau andersherum: Es fehlten noch wenige Tage, der Käufer wollte dennoch bereits „aussteigen“.

Quelle | OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 3.8.2021, 5 U 84/20

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Schadenersatz: Unfall auf dem Supermarktparkplatz

Das Amtsgericht (AG) München hat jetzt die Klage einer Fahrzeughalterin gegen einen Autofahrer und dessen Kfz-Versicherung abgewiesen. Der zugrundeliegende Unfall auf einem Supermarktparkplatz wies einige Besonderheiten auf.

Das war geschehen

Der VW der Klägerin war in einer Parkbucht auf dem Parkplatz eines Supermarkts abgestellt. Auf dem Fahrersitz saß der Ehemann der Klägerin. Der Beklagte parkte mit einem Opel in die Parkbucht links daneben ein und stieß dabei mit der geöffnete Fahrertür des VW zusammen.

Die Klägerin macht restliche Schadenersatzansprüche unter Berücksichtigung einer teilweisen vorgerichtlichen Regulierung durch die mitbeklagte Versicherung geltend. Ihr Argument: Die Fahrertür ihres Autos sei bereits mehrere Minuten erkennbar geöffnet gewesen, sodass die Kollision für ihren Mann unvermeidbar gewesen sei.

Die Beklagten behaupten hingegen, die Tür des VW sei noch geschlossen gewesen, als der Opel ordnungsgemäß in die freie Parklücke daneben eingefahren sei. Währenddessen sei die Fahrertür des VW plötzlich und unvermittelt geöffnet und gegen das Beklagtenfahrzeug gestoßen worden; die Klagepartei würde daher allein für die Schäden haften und habe im Rahmen der vorgerichtlichen hälftigen Regulierung bereits mehr erhalten, als ihr zustehe.

Amtsgericht: alleiniges Verschulden der Klägerin

Das AG gab nach der Beweisaufnahme der Beklagtenseite Recht. Dass die Tür des VW bereits für mehrere Minuten offen gestanden hatte, konnte dabei nicht nachgewiesen werden. Nicht weiterhelfen konnte insbesondere die Aussage der unbeteiligten Zeugin, die sich zu erinnern meinte, dass die Tür insgesamt nur 5 cm aufgestanden habe – nach dem Sachverständigengutachten musste die Tür bei der Kollision hingegen 60 bis 70 cm geöffnet gewesen sein. Auch vermeintliche Erinnerungen der Zeugin zur Geschwindigkeit wurden mit dem Sachverständigengutachten widerlegt. Die Angaben des Ehemanns der Klägerin und des Beklagten widersprachen sich, ohne dass das Gericht den einen oder anderen Angaben einen höheren Erkenntniswert zumessen konnte.

Das AG hat der Entscheidung eine alleinige Haftung der Klagepartei zugrunde gelegt. Für eine schuldhafte Sorgfaltspflichtverletzung des Türöffners – hier des Fahrers des Klägerfahrzeugs – spricht der Beweis des ersten Anscheins. Wer in ein Fahrzeug ein- oder aussteigt, muss sich so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Diese Sorgfaltsanforderung gilt für die gesamte Dauer eines Ein- oder Aussteigens, also für alle Vorgänge, die in einem unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang damit stehen, wobei der Vorgang des Einsteigens erst mit dem Schließen der Fahrzeugtür, der Vorgang des Aussteigens erst mit dem Schließen der Fahrzeugtür und dem Verlassen der Fahrbahn beendet ist. Dieser Grundsatz war hier nach dem AG zu berücksichtigen. Dies gelte umso mehr, als auf einem Parkplatz für jeden Benutzer jederzeit mit Ein- und Aussteigevorgängen sowie mit Ein-, Auspark- und Rangiermanövern zu rechnen ist, sodass grundsätzlich erhöhtes Augenmerk auf derartige Vorgänge zu legen ist.

Ein Verschulden des Fahrers des Klägerfahrzeugs an der Kollision stand für das AG nach all dem fest. Auch ein – hier nicht nachgewiesenes – über mehrere Minuten andauerndes Offenstehenlassen einer Fahrzeugtür auf einem Parkplatzgelände ist erheblich risikobehaftet und vor dem Hintergrund der o. g. Pflichten zur wechselseitigen Rücksichtnahme sorgfaltswidrig.

Quelle | AG München, Urteil vom 27.10.2021, 343 C 106/21, PM 2/22 vom 14.1.2022

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Wirtschafts- und Gesellschaftsrecht

Gewerberaummiete: Mietzahlungspflicht bei coronabedingter Geschäftsschließung

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat die Frage entschieden, ob ein Mieter von gewerblich genutzten Räumen für die Zeit einer behördlich angeordneten Geschäftsschließung während der COVID-19-Pandemie zur vollständigen Zahlung der Miete verpflichtet ist.

Die Beklagte hat von der Klägerin Räumlichkeiten zum Betrieb eines Einzelhandelsgeschäfts für Textilien aller Art sowie Waren des täglichen Ge- und Verbrauchs gemietet. Aufgrund des sich im März 2020 in Deutschland verbreitenden Corona-Virus erließ das Sächsische Staatsministerium für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt im März 2020 Allgemeinverfügungen, aufgrund derer die Beklagte ihr Textileinzelhandelsgeschäft im Mietobjekt für einen Monat schließen musste. Infolge der behördlich angeordneten Betriebsschließung entrichtete die Beklagte für den Monat April 2020 keine Miete. Die Parteien stritten nun bis zum BGH, ob diese Monatsmiete zu zahlen war oder nicht.

Der BGH hat das Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) aufgehoben und die Sache an dieses zurückverwiesen. Er hat entschieden, dass im Fall einer Geschäftsschließung, die aufgrund einer hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der Corona-Pandemie erfolgt, grundsätzlich ein Anspruch des Mieters von gewerblich genutzten Räumen auf Anpassung der Miete wegen Störung der Geschäftsgrundlage gemäß Bürgerlichem Gesetzbuch (§ 313 Abs. 1 BGB) in Betracht kommt.

Dies bedeutet aber nicht, so der BGH, dass der Mieter stets eine Anpassung der Miete für den Zeitraum der Schließung verlangen kann. Ob dem Mieter ein Festhalten an dem unveränderten Vertrag unzumutbar ist, bedarf einer umfassenden Abwägung, bei der sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind. Eine pauschale Betrachtungsweise wird den Anforderungen an diesen Grundsatz nicht gerecht. Das OLG hatte eine Vertragsanpassung dahingehend vorgenommen, dass ohne Berücksichtigung der konkreten Umstände die Miete für den Zeitraum der Geschäftsschließung grundsätzlich um die Hälfte herabgesetzt wird. Grund: Das Risiko einer pandemiebedingten Gebrauchsbeschränkung der Mietsache treffe keine der beiden Mietvertragsparteien allein. Dies, so der BGH, komme nicht in Betracht. Es bedarf vielmehr einer umfassenden und auf den Einzelfall bezogenen Abwägung, bei der zunächst von Bedeutung ist, welche Nachteile dem Mieter durch die Geschäftsschließung und deren Dauer entstanden sind.

Diese werden laut BGH bei einem gewerblichen Mieter primär in einem konkreten Umsatzrückgang für die Zeit der Schließung bestehen, wobei jedoch nur auf das konkrete Mietobjekt und nicht auf einen möglichen Konzernumsatz abzustellen ist. Zu berücksichtigen kann auch sein, welche Maßnahmen der Mieter ergriffen hat oder ergreifen konnte, um die drohenden Verluste während der Geschäftsschließung zu vermindern.

Da eine Vertragsanpassung nach den Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage aber nicht zu einer Überkompensierung der entstandenen Verluste führen darf, sind bei der Prüfung der Unzumutbarkeit grundsätzlich auch die finanziellen Vorteile zu berücksichtigen, die der Mieter aus staatlichen Leistungen zum Ausgleich der pandemiebedingten Nachteile erlangt hat. Dabei können auch Leistungen einer ggf. einstandspflichtigen Betriebsversicherung des Mieters zu berücksichtigen sein. Staatliche Unterstützungsmaßnahmen, die nur auf Basis eines Darlehens gewährt wurden, bleiben hingegen bei der Abwägung außer Betracht, weil der Mieter durch sie keine endgültige Kompensation der erlittenen Umsatzeinbußen erreicht. Eine tatsächliche Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz des Mieters ist nicht erforderlich. Bei der gebotenen Abwägung sind auch die Interessen des Vermieters in den Blick zu nehmen.

Das OLG muss nach der Zurückverweisung durch den BGH nun prüfen, welche konkreten wirtschaftlichen Auswirkungen die Geschäftsschließung in dem streitgegenständlichen Zeitraum für die Beklagte hatte und ob diese Nachteile ein Ausmaß erreicht haben, das eine Anpassung des Mietvertrags erforderlich macht.

Quelle | BGH, Urteil vom 12.1.2022, XII ZR 8/21, PM 4/22 vom 12.1.2022

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Corona-Pandemie: Betriebsschließungen im Frühjahr 2020: weder Entschädigungs- noch Schadenersatzansprüche

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat jetzt darüber entschieden, ob der Staat für Einnahmeausfälle haftet, die durch flächendeckende vorübergehende Betriebsschließungen oder Betriebsbeschränkungen aufgrund von staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus SARS-CoV-2 und der dadurch verursachten COVID-19-Krankheit entstanden sind. Er hat die Haftung verneint.

Das war geschehen

Der Kläger ist Inhaber eines Hotel- und Gastronomiebetriebs. Am 22.3.2020 erließ das beklagte Land Brandenburg eine Corona-Eindämmungsverordnung, wonach Gaststätten für den Publikumsverkehr zu schließen waren und den Betreibern von Beherbergungsstätten untersagt wurde, Personen zu touristischen Zwecken zu beherbergen. Der Betrieb des Klägers war vom 23.3. bis zum 7.4.2020 für den Publikumsverkehr geschlossen, ohne dass die COVID-19-Krankheit zuvor dort aufgetreten war. Der Kläger erkrankte auch nicht. Während der Zeit der Schließung seiner Gaststätte bot er Speisen und Getränke im Außerhausverkauf an. Im Rahmen eines staatlichen Soforthilfeprogramms zahlte die Investitionsbank Brandenburg 60.000 Euro als Corona-Soforthilfe an ihn aus. Der Kläger hat geltend gemacht, es sei verfassungsrechtlich geboten, ihn und andere Unternehmer für die durch die Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie erlittenen Umsatz- und Gewinneinbußen zu entschädigen.

Das Landgericht (LG) hat die auf Zahlung von 27.017,28 Euro (Verdienstausfall, nicht gedeckte Betriebskosten, Arbeitgeberbeiträge zur Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung) nebst Prozesszinsen sowie auf Feststellung der Ersatzplicht des Landes Brandenburg für alle weiteren entstandenen Schäden gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist vor dem Oberlandesgericht (OLG) erfolglos geblieben.

So entschied der Bundesgerichtshof

Der Kläger hatte auch vor dem BGH keinen Erfolg. Die Entschädigungsvorschriften des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) gewähren Gewerbetreibenden, die im Rahmen der Bekämpfung der COVID-19-Pandemie als sog. infektionsschutzrechtliche Nichtstörer durch eine flächendeckende Schutzmaßnahme, insbesondere eine Betriebsschließung oder Betriebsbeschränkung, wirtschaftliche Einbußen erlitten haben, keinen Anspruch auf Entschädigung. Insbesondere ergibt sich kein Anspruch aus § 65 Abs. 1 IfSG. Nach ihrem eindeutigen Wortlaut ist die Vorschrift nur bei Maßnahmen zur Verhütung übertragbarer Krankheiten einschlägig. Im vorliegenden Fall dienten die Corona-Eindämmungsverordnung sowie die Folgeverordnungen jedoch der Bekämpfung der COVID-19-Krankheit. Diese hatte sich bereits zum Zeitpunkt des Erlasses der Verordnung deutschlandweit ausgebreitet. Eine verfassungskonforme Auslegung der Vorschriften des IfSG dahingehend, dass auch in der vorliegenden Fallgestaltung eine Entschädigung zu gewähren ist, scheidet laut BGH aus.

Der BGH betont: Hilfeleistungen für von einer Pandemie schwer getroffene Wirtschaftsbereiche sind keine Aufgabe der Staatshaftung. Vielmehr folgt aus dem Sozialstaatsprinzip, dass die staatliche Gemeinschaft Lasten mitträgt, die aus einem von der Gesamtheit zu tragenden Schicksal entstanden sind und nur zufällig einen bestimmten Personenkreis treffen. Hieraus folgt zunächst nur die Pflicht zu einem innerstaatlichen Ausgleich, dessen nähere Gestaltung weitgehend dem Gesetzgeber überlassen ist. Erst eine solche gesetzliche Regelung kann konkrete Ausgleichsansprüche der einzelnen Geschädigten begründen. Dieser sozialstaatlichen Verpflichtung kann der Staat z. B. dadurch nachkommen, dass er – wie im Fall der COVID-19-Pandemie geschehen – haushaltsrechtlich durch die Parlamente abgesicherte Ad-hoc-Hilfsprogramme auflegt („Corona-Hilfen“), die die gebotene Beweglichkeit aufweisen und eine lageangemessene Reaktion, zum Beispiel durch kurzfristige existenzsichernde Unterstützungszahlungen an betroffene Unternehmen, erlauben.

Quelle | BGH, Urteil vom 17.3.2022, III ZR 79/21, PM 33/2022 vom 17.3.2022

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COVID-19-Pandemie: Keine Ansprüche aus Betriebsschließungsversicherung

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat jetzt entschieden: Einem Versicherungsnehmer stehen auf der Grundlage der (im vorliegenden Fall) vereinbarten Versicherungsbedingungen keine Ansprüche aus einer Betriebsschließungsversicherung wegen einer im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie erfolgten Schließung der von ihm betriebenen Gaststätte in Schleswig-Holstein zu.

Der Kläger hält bei dem beklagten Versicherer eine sog. Betriebsschließungsversicherung. Er begehrt, festzustellen, dass der Versicherer verpflichtet ist, ihm aufgrund der Schließung seines Restaurants eine Entschädigung aus dieser Versicherung zu zahlen. Dem Versicherungsvertrag liegen die „Zusatzbedingungen für die Versicherung von Betrieben gegen Schäden aufgrund behördlicher Anordnung nach dem Infektionsschutzgesetz (Betriebsschließung) – 2008 (ZBSV 08)“ zugrunde. Danach ersetzt der Versicherer dem Versicherungsnehmer im Fall einer bedingungsgemäßen Betriebsschließung den Ertragsausfallschaden bis zu 30 Tagen.

Dort werden bei den „versicherten Gefahren“ allerdings weder die Coronavirus-Krankheit-2019 noch das Severe-Acute-Respiratory-Syndrome-Coronavirus oder das Severe-Acute-Respiratory-Syndrome-Coronavirus-2 aufgeführt. Die Schleswig-Holsteinische Landesregierung ordnete mit Landesverordnung vom 18.3.2020 u. a. die Schließung sämtlicher Gaststätten an, wobei Leistungen im Rahmen eines Außerhausverkaufs unter bestimmten Voraussetzungen zulässig waren. Der Kläger schloss daraufhin seine Gaststätte und bot einen Lieferdienst an.

Seine Klage war in den Vorinstanzen erfolglos. Der BGH hat die Revision zurückgewiesen. Dem Kläger stehen gegen die Beklagte keine Ansprüche zu, weil eine Betriebsschließung zur Verhinderung der Verbreitung der Krankheit COVID-19 oder des Krankheitserregers SARS-CoV-2 nicht vom Versicherungsschutz umfasst ist. Insbesondere würde ein verständiger Versicherungsnehmer die in den Versicherungsbedingungen enthaltene umfangreiche Aufzählung von Krankheiten und Krankheitserregern als abschließend erachten. Der erkennbare Zweck und Sinnzusammenhang in den Versicherungsbedingungen spricht für die Abgeschlossenheit des Katalogs. Der Versicherungsnehmer wird zwar ein Interesse an einem möglichst umfassenden Versicherungsschutz haben, aber nicht davon ausgehen können, dass der Versicherer auch für nicht im Katalog aufgeführte Krankheiten und Krankheitserreger die Deckung übernehmen will, die – wie hier – u.U. erst Jahre nach Vertragsschluss auftreten und bei denen für den Versicherer wegen der Unklarheit des Haftungsrisikos keine sachgerechte Prämienkalkulation möglich ist.

Quelle | BGH, Urteil vom 26.1.2022, IV ZR 144/21, PM 12/22 vom 26.1.2022

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Berechnung der Verzugszinsen

Für die Berechnung der Verzugszinsen ist seit dem 1. Januar 2002 der Basiszinssatz nach § 247 BGB anzuwenden. Seine Höhe wird jeweils zum 1. Januar und 1. Juli eines Jahres neu bestimmt. Er ist an die Stelle des Basiszinssatzes nach dem Diskontsatz-Überleitungsgesetz (DÜG) getreten.

Der Basiszinssatz für die Zeit vom 1. Januar 2022 bis zum 30. Juni 2022 beträgt -0,88 Prozent. Damit ergeben sich folgende Verzugszinsen:

Nachfolgend ein Überblick zur Berechnung von Verzugszinsen (Basiszinssätze).

Übersicht /  Basiszinssätze

Zeitraum Zinssatz
01.07.2021 bis 31.12.2021 -0,88 Prozent
01.01.2021 bis 30.06.2021 -0,88 Prozent
01.07.2020 bis 31.12.2020 -0,88 Prozent
01.01.2020 bis 30.06.2020 -0,88 Prozent
01.07.2019 bis 31.12.2019 -0,88 Prozent
01.01.2019 bis 30.06.2019 -0,88 Prozent
01.07.2018 bis 31.12.2018 -0,88 Prozent
01.01.2018 bis 30.06.2018 -0,88 Prozent
01.07.2017 bis 31.12.2017 -0,88 Prozent
01.01.2017 bis 30.06.2017 -0,88 Prozent
01.07.2016 bis 31.12.2016 -0,88 Prozent
01.01.2016 bis 30.06.2016 -0,83 Prozent
01.07.2015 bis 31.12.2015 -0,83 Prozent
01.01.2015 bis 30.06.2015 -0,83 Prozent
01.07.2014 bis 31.12.2014 -0,73 Prozent
01.01.2014 bis 30.06.2014 -0,63 Prozent
01.07.2013 bis 31.12.2013 -0,38 Prozent
01.01.2013 bis 30.06.2013 -0,13 Prozent
01.07.2012 bis 31.12.2012 0,12 Prozent
01.01.2012 bis 30.06.2012 0,12 Prozent
01.07.2011 bis 31.12.2011 0,37 Prozent
01.01.2011 bis 30.06.2011 0,12 Prozent
01.07 2010 bis 31.12.2010 0,12 Prozent
01.01.2010 bis 30.06.2010 0,12 Prozent
01.07 2009 bis 31.12.2009 0,12 Prozent
01.01.2009 bis 30.06.2009 1,62 Prozent
01.07.2008 bis 31.12.2008 3,19 Prozent
01.01.2008 bis 30.06.2008 3,32 Prozent
01.07.2007 bis 31.12.2007 3,19 Prozent